Diary studies (auf Deutsch manchmal Tagebuchstudien genannt) sind eine qualitative Forschungsmethode, die häufig in Bereichen wie Mensch-Computer-Interaktion, Psychologie, User Experience (UX) Design und Soziologie verwendet wird. Diese Methode erfordert, dass Teilnehmer über einen bestimmten Zeitraum Aufzeichnungen ihrer Aktivitäten, Gedanken oder Gefühle führen, um Einblicke in ihr Verhalten und ihre Erfahrungen in natürlichen Umgebungen zu gewähren. Diary studies können longitudinale Daten erfassen und sind besonders wertvoll zum Verstehen von Prozessen, Erfahrungen und kontextuellen Faktoren, die durch andere Forschungsmethoden nicht leicht zugänglich sind. Diary studies können helfen, den Antwort-Bias zu reduzieren, da sie die Anwesenheit des Forschers zum Zeitpunkt der Datenerfassung eliminieren (Carter & Mankoff, 2005).
Entwurf einer Diary Study
Forschungsziele definieren
Der erste Schritt beim Entwerfen einer Diary Study besteht darin, die Forschungsziele klar zu definieren. Diese Ziele bestimmen die Struktur, den Inhalt und die Dauer der Studie. Forschungsfragen sollten darauf abzielen, die Nuancen der Verhaltensweisen, Erfahrungen oder Entscheidungsprozesse der Teilnehmer in einem realen Kontext zu verstehen. Zum Beispiel kann eine Diary Study untersuchen, wie Nutzer im Alltag mit einer neuen App interagieren, oder die emotionalen Erfahrungen von Patienten während der medizinischen Behandlung erforschen. Laut Bolger, Davis & Rafaeli (2003)gibt es drei Arten typischer Forschungsfragen, die in der folgenden Liste zusammengefasst sind.
Durchschnittliche Erfahrung: Was ist die typische oder durchschnittliche Erfahrung eines Individuums? Tagebücher können zuverlässige Daten über die typischen Eigenschaften und Verhaltensweisen von Individuen liefern und wie stark sie voneinander abweichen. Im Gegensatz zu retrospektiven Selbstberichten, die anfällig für Bias sind, können Tagebuchdaten genauere Zusammenfassungen bieten, indem sie Erfahrungen über die Zeit hinweg aggregieren.
Zeitlicher Verlauf: Wie verändern sich die Erfahrungen einer Person im Laufe der Zeit und wie unterscheiden sich diese Veränderungen zwischen Individuen? Tagebücher eignen sich zur Erfassung, wie sich die Erfahrungen und Verhaltensweisen einer Person im Laufe der Zeit verändern und wie diese Veränderungen zwischen Menschen variieren. Zum Beispiel können Tagebuchstudien tägliche oder wöchentliche Muster aufdecken, wie Schwankungen der Intimitätsniveaus oder der ehelichen Zufriedenheit im Laufe der Zeit, die in traditionellen Längsschnittstudien übersehen werden könnten.
Zugrundeliegende Prozesse: Welche Prozesse beeinflussen Veränderungen in den Erfahrungen einer Person und wie wirken sich individuelle Unterschiede auf diese Prozesse aus? Tagebücher können helfen, die Prozesse aufzudecken, die der Variabilität innerhalb einer Person zugrunde liegen, wie der Einfluss sozialer Unterstützung auf die Intimität. Obwohl Diary Studies nicht im klassischen Sinne experimentell sind, können sie dennoch Einblicke in Ursache-Wirkungs-Beziehungen liefern, indem sie Faktoren wie frühere Erfahrungen der Teilnehmer kontrollieren.
Wahl des Tagebuchtyps
Es gibt mehrere Arten von Diary Studies, die jeweils für unterschiedliche Forschungsfragen geeignet sind. Die folgenden drei Typen werden von Wheeler & Reis (1991)vorgeschlagen.
Signalgesteuerte Tagebücher: Teilnehmer erfassen spezifische Verhaltensweisen oder Erfahrungen, wenn sie vom Forscher durch vordefinierte Auslöser aufgefordert werden (z.B. wenn sie ein bestimmtes Produkt verwenden oder ein bestimmtes Gefühl erleben).
Intervallgesteuerte Tagebücher: Teilnehmer machen Einträge in regelmäßigen Abständen (z.B. täglich, wöchentlich), was hilft, Erfahrungen über die Zeit hinweg zu erfassen.
Ereignisgesteuerte Tagebücher: Teilnehmer werden gebeten, Einträge zu machen, wann immer ein bestimmtes Ereignis eintritt, wie z.B. das Gefühl von Stress oder das Abschließen einer Aufgabe.
Die Wahl des Tagebuchtyps hängt von der Art der Forschungsfragen, der erwarteten Häufigkeit des untersuchten Verhaltens oder Erlebnisses und der kognitiven Belastung der Teilnehmer ab.
Gestaltung des Tagebuchs
Das Design des Tagebuchs umfasst die Entscheidung über das Format (z.B. Papier, digital, mobile App) und die Strukturierung der Anweisungen oder Fragen. Das Format sollte bequem und einfach zu verwenden sein, um die Belastung der Teilnehmer zu minimieren und qualitativ hochwertige Daten zu gewährleisten. Fragen oder Anweisungen sollten klar und prägnant sein und den Forschungszielen entsprechen. Offene Fragen werden oft bevorzugt, um reichhaltige qualitative Daten zu erfassen, aber auch geschlossene Fragen oder Likert-Skalen können verwendet werden, um spezifische Erfahrungen oder Verhaltensweisen zu quantifizieren.
Ethische Überlegungen
Tagebuchstudien erfordern eine sorgfältige Betrachtung ethischer Fragen, insbesondere in Bezug auf Privatsphäre und Vertraulichkeit. Teilnehmer könnten sensible Informationen preisgeben, daher ist es entscheidend, klare Informationen darüber zu geben, wie die Daten verwendet, gespeichert und geteilt werden. Das Einholen von Informed Consent und die Sicherstellung, dass Teilnehmer jederzeit ohne negative Auswirkungen aus der Studie aussteigen können, sind wesentliche ethische Praktiken (Corti, Day, & Backhouse, 2000).
Die Analyse einer Diary Study
Die Daten aus einer Diary Study können komplex sein und qualitative Erzählungen, quantitative Antworten und Multimedia-Elemente umfassen. Der Analyseprozess besteht oft aus mehreren Phasen:
Datenvorbereitung: Im ersten Schritt musst Du die Daten zur Analyse bereinigen und organisieren. Dies kann das Transkribieren handschriftlicher oder audioaufgenommener Einträge, das Kodieren qualitativer Daten und das Eingeben quantitativer Daten in statistische Software umfassen. Die Datenvorbereitung beinhaltet auch die Anonymisierung der Daten zum Schutz der Teilnehmeridentitäten.
Quantitative Analyse: Wenn die Diary Study quantitative Elemente wie Likert-Skalenreaktionen oder Frequenzzählungen enthält, kann die statistische Analyse verwendet werden, um Trends oder Beziehungen zu identifizieren. Deskriptive Statistiken (z.B. Mittelwerte, Häufigkeiten) können einen Überblick über die Daten geben, während inferenzielle Statistiken (z.B. Regressionsanalyse) helfen können, Beziehungen zwischen Variablen zu bestimmen.
Qualitative Analyse: Methoden der qualitativen Analyse wie thematische Analyse, Grounded Theory oder narrative Analyse werden häufig zur Analyse von Tagebuchdaten verwendet. Diese Methoden beinhalten codieren der Daten, um Muster, Themen oder Erzählungen zu identifizieren, die die Forschungsfragen ansprechen. Bei der qualitativen Analyse bieten Dir Werkzeuge wie QDAcity umfangreiche Unterstützung. Die qualitative Datenanalyse kann tiefe Einblicke in die gelebten Erfahrungen, Verhaltensweisen und Emotionen der Teilnehmer liefern.
Interpretation und Berichterstattung
Der letzte Schritt in einer Diary Study besteht darin, die Ergebnisse zu berichten und zu interpretieren. Der Bericht sollte eine klare Erzählung liefern, die quantitative und qualitative Ergebnisse integriert, und die wichtigsten Themen, Muster und Einsichten hervorhebt. Es ist wichtig, die Ergebnisse auf die Forschungsziele zu beziehen und die Implikationen für Theorie, Praxis oder Politik zu berücksichtigen. Reflexivität ist ebenfalls wichtig; du solltest deine Rolle im Forschungsprozess anerkennen und wie deine Perspektiven die Interpretation der Daten beeinflusst haben könnten. Wenn Deine Teilnehmer dafür verfügbar sind, solltest du auch in Erwägung ziehen, Member Checking zu machen, um zu bestätigen, dass Deine Ergebnisse die Realitäten Deiner Teilnehmer widerspiegeln.
Schlussfolgerung über Diary Studies
Diary studies sind ein mächtiges Instrument, um reichhaltige, kontextuelle Daten über einen längeren Zeitraum zu erfassen. Durch einen strukturierten Ansatz bei der Planung, Teilnehmerrekrutierung, Datensammlung, Analyse und Berichterstattung können Forschende qualitativ hochwertige Daten und bedeutungsvolle Einsichten sicherstellen. Diese Methode ist besonders wertvoll zum Erkunden komplexer Verhaltensweisen und Erfahrungen in natürlichen Umgebungen und bietet ein einzigartiges Fenster in die gelebten Erfahrungen der Teilnehmer. Sie bietet die Möglichkeit für sowohl quantitative als auch qualitative Analysen und integriert sich gut in ein Mixed-Methods Forschungsdesign. Diary studies können auch eine ausgezeichnete Option für Methodentriangulation in einer Längsschnittstudie sein. Da der Forscher zum Zeitpunkt der Datenerfassung nicht anwesend ist, hilft dies auch, Antwort-Bias zu mindern, welches bei Interviews präsenter sein könnte.
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